Einmalige Gelegenheiten
- Cora
- 13. Mai 2023
- 7 Min. Lesezeit
Nach einem kurzen Stopp in Chinandega, wo wir unsere Vorräte wieder aufstocken, bestimmen wir unser nächstes Ziel. Es wird natürlich ebenfalls an der Küste liegen. Wir wählen einen Autobahnabschnitt, der direkt am Meer entlang verläuft. Im Dorf Miramar, wo wir unsere erste Nacht verbringen werden, schlängelt sich die Strasse am Wasser entlang bis nach El Transito, dem nächstgrösseren Ort. Dazwischen sollen sich noch mehr Surfspots befinden. Gegen Nachmittag kommen wir in Miramar an. Leider sind keine Wellen zu entdecken, dafür werden wir von drei netten Männern, die neben uns parken, auf ein Bier eingeladen. Sie kommen aus Nicaragua und erzählen uns viel über die jetzige politische Situation und die Sicherheitslage nach dem Bürgerkrieg 2018. Viele Leute planen immer noch, das Land zu verlassen, weil keine Gewissheit herrscht, wie es in Zukunft weitergeht und die Regierung so ziemlich alles anstellen kann, was sie will.
Nach diesem interessanten Gespräch beschliessen wir, das Städtchen zu erkunden. Wobei, von Städtchen kann man eigentlich nicht sprechen. Das Dorf besteht aus einer Strasse, die links und rechts von Häusern gesäumt ist, viele davon Ferienwohnungen. Wir erwarten, auf ein paar Anwohner*innen zu treffen, aber alles wirkt wie ausgestorben. Die einzigen Wesen, die uns über den Weg laufen, sind einige Hunde, Hühner und ein dickes Schwein, das seelenruhig am Strassenrand grast. Schon fast am Ende des Weges angelangt, spähen wir durch ein halboffenes Tor auf ein luxuriös aussehendes Grundstück, das gerade renoviert wird. Einer der Arbeiter bemerkt uns und lädt uns zu einer Tour durch den ausladenden Garten ein. Das Anwesen gehöre seinem Bruder und werde normalerweise an Feriengäste vermietet. Von hier aus hat man einen unglaublich schönen Ausblick auf den Strand. Die Sonne steht schon ziemlich tief am Himmel, deswegen machen wir uns, nachdem wir uns bedankt haben, auf den Rückweg zu Gorda. Direkt neben uns hat inzwischen ein Golfbuggy geparkt. Seine Fahrer, vier nicaraguensiche Männer, haben es wohl nicht bei einem Bier belassen und sind dementsprechend in ausgelassener Stimmung. Dies hat ihren Frauen allerdings nicht ganz gepasst, sie haben sich kurzerhand aus dem Staub gemacht. Nun ist das Geschrei gross. Die Frauen sind weg, kennen sich nicht im Ort aus und laufen anscheinend im Dunkeln an der Autobahn entlang. Nach minutenlangem Beraten, was wohl der beste Weg sei, die Damen wiederzufinden, begeben die Männer sich auf ihre Mission und wir haben endlich unsere Ruhe.
Nach einer ruhigen Nacht machen wir morgens einen Wave-Check. Leider lässt sich auch heute nichts surfbares erkennen, also geht es weiter. Wir möchten El Transito erreichen, einen der bekannteren Surfspots Nicaraguas. Eine Bucht vor El Transito liegt Playa Hermosa. Da wir genug Zeit haben, machen wir hier einen kurzen Halt. Der Strand ist hübsch und wir hüpfen kurz ins Wasser, fürs Surfen reicht es aber nicht. Also fahren wir zurück auf die Hauptstrasse in Richtung El Transito. Von richtiger Strasse kann allerdings nicht die Rede sein, es handelt sich eher um einen steinigen Dreckweg und wir brauchen viel länger als berechnet, um anzukommen.

Einmal dort, fragen wir in jeglichen Hostels und Restaurants nach einem Stellplatz für Gorda, werden aber überall abgewiesen. Schlussendlich finden wir eine Familie mit einem grossen Garten, die uns für wenig Geld neben ihrem Haus parken lässt. Zufrieden richten wir uns ein und setzen uns dann in den nächsten Comedor, den wir finden können. Nach dem Essen sind wir beide müde, deswegen legen wir uns an den Strand unter eine kleine Palappa. Plötzlich werden wir von drei lokalen, ungefähr zehnjährigen Jungs belagert. Sie quatschen uns erst an und fragen uns über unsere Herkunft aus, dann werden sie etwas lästig und wollen Geld. Wir halten die Diskussion freundlich und albern mit ihnen herum. Philip fragt sie, ob die Fischer hier manchmal mit kleinen Thunfischen zurückkommen, er ist nämlich schon länger auf der Suche nach einem. Die Kinder zucken nur mit den Schultern und gehen dann ihres Weges.
Neben uns unter der Palappa haben inzwischen vier junge Deutsche Platz genommen, zwei Männer und zwei Frauen. Irgendwann sprechen wir sie an und verbringen den Nachmittag plaudernd. Nach einer Weile steht einer der kleinen Jungs wieder vor uns. In seiner Hand hält er einen Thunfisch, genau so einen, wie Philip ihn sich gewünscht hat. Philip weiss schon gar nicht mehr, dass er den Fisch vorhin im Gespräch erwähnt hat und denkt, der Junge hätte seine Gedanken gelesen. Den Fisch kauft er, ohne zu zögern. Zu einem Preis von 1.50 Franken ist ein Kilo Thunfischfilet definitiv ein guter Deal. Eine der Deutschen, Lissy, will unbedingt wissen, wie man einen Fisch richtig ausnimmt und möchte dies auch gleich gerne selbst übernehmen. Zufälligerweise finden alle so heraus, dass Phil, ihr Kumpel, früher im Fischverein war und genau weiss, wie das geht. Unter seiner Anleitung nimmt sie den Fisch im Meer professionell aus. Als wir dies das letzte Mal zusammen mit Semi und Jorge gemacht haben, war alles eher Freestyle. Das Ganze ist sehr blutig, macht ihr aber anscheinend nichts aus. Später hackt Philip noch den Kopf ab und verfüttert die Reste an die Strassenhunde, die ihn sofort glücklich umringen.


Jetzt stellt sich nur noch die Frage der Zubereitung. Der Thunfisch ist ziemlich gross, zu viel für eine Person (Cora ist keinen Fisch). Weil wir uns mit der Gruppe so gut verstanden haben, laden sie uns zum Abendessen in ihr Airbnb ein. Dort haben sie einen grossen Grill und wollen den Fisch für alle zubereiten. Gerne nehmen wir die Einladung an und verabreden uns für später. Mittlerweile herrscht Flut und die Wellen sehen ganz okay aus, aber ziemlich heftig. Philip rennt noch für eine kurze Sunset-Session ins Wasser. Allzu viel Zeit bleibt ihm jedoch nicht, wir haben nämlich noch einen wichtigen Termin, bevor wir uns zu unseren neuen Freunden zum Essen aufmachen können.

Seit sie von Pauls Atlantiküberquerung gehört hat, ist Cora Feuer und Flamme davon. Sie hat nicht mehr aufgehört davon zu reden, so etwas ebenfalls machen zu wollen, bis sie auch Philip von der Idee überzeugt hat. Also haben wir uns schon in Guatemala darangesetzt, das Projekt "Atlantiküberquerung" in die Tat umzusetzen. Letztes Jahr haben wir beide in der Schweiz die theoretische Hochseeprüfung abgelegt und bestanden, uns fehlen nun nur noch die 1000 Seemeilen, um den definitiven Hochseeschein zu beantragen. Was für eine perfekte Gelegenheit also, die Meilen bei einer Überquerung zu sammeln. Wir haben uns schlau gemacht und erfahren, dass es viele Facebook-Gruppen gibt, in denen man nach Mitfahrgelegenheiten suchen kann. Daraufhin haben wir ein Inserat geschrieben und gehofft, dass uns jemand kontaktiert. Aus den drei Angeboten, die wir bekommen haben, haben wir zwei aussortiert und stehen mit den Personen vom letzten in stetigem Chat-Kontakt. Heute Abend werden wir zum ersten Mal mit den Leuten videochatten, um sie kennenzulernen und zu schauen, ob alles passt. Wir sind beide etwas aufgeregt, hoffentlich machen wir einen guten Eindruck. Für den Call brauchen wir W-lan, weil wir gerade keine stabile Internetverbindung haben. Heimlich schleichen wir uns in eines der Hostels und tarnen uns als Gäste. Wir erhalten das W-lan Passwort und können so unser Telefonat ungestört durchführen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Outcome. Die Leute sind supernett und wir verabreden gleich einen zweiten Call für morgen Abend.
Nun ist es Zeit fürs Essen. Unsere Freunde haben sich selbst übertroffen. Der Fisch wird mit Knoblauch angebraten und als Beilagen gibt es Pasta und Salat. Alles schmeckt ausgezeichnet. Wir verbringen einen sehr schönen und lustigen Abend zusammen. Das Highlight ist für uns die Ziege, die der Besitzer des AirBnB's als Haustier hat. Irgendwann holt er sie aus ihrem Stall, nimmt sie an die Leine und macht mit ihr ihren täglichen Spaziergang zum Strand. Wir geniessen die restliche Zeit mit ein paar Bierchen und laufen dann zurück zu Gorda.
Früh wachen wir wieder auf, es steht nämlich viel auf dem Programm. Heute geht es für uns nach Granada, einer Kolonialstadt, die am Lago de Nicaragua liegt. Manchmal braucht man eben auch mal eine Surfpause, da passt ein kleiner Inlandtrip perfekt. Wir parken im Stadtzentrum und machen uns dann auf zu einer Erkundungstour. Sogleich entdecken wir den Parque Central, den es in fast jeder zentralamerikanischen Stadt gibt. Als wir entlang der Wege schlendern, sehen wir zwei Männer, die an einem kleinen Tisch sitzen und gegeneinander Schach spielen. Wir schauen eine Weile zu und als sie fertig sind, fordern wir den Gewinner heraus. Er spielt eine Partie gegen jeden von uns, ist aber um einiges besser als wir. Trotzdem ist es sehr interessant, auch mal gegen neue Gegner zu spielen.

Nach unseren Niederlagen laufen wir noch ein bisschen weiter und gönnen uns ein Eis. Dann haben wir genug von Granada. Das Städtchen ist zwar hübsch, mit San Cris und Antigua aber nicht zu vergleichen.

Zurück bei Gorda bringen wir die letzte Strecke bis zum See hinter uns, wo wir uns direkt im Wasser abkühlen. Am Abend stellen wir uns neben ein Restaurant direkt am Ufer. Auf einmal hören wir Schreie, die für uns verdächtig nach Brüllaffen klingen. Und tatsächlich. Nach kurzem Suchen finden wir eine kleine Affenfamilie, die über uns in den Bäumen hockt. Wir sind entzückt! Affen haben wir bisher erst einmal in Mexiko gesehen. Philip brüllt die Tiere an, um ihnen weitere Reaktionen zu entlocken. Das klappt wirklich, sie schreien verärgert zurück. Dann lassen wir sie aber in Ruhe, wir haben unseren Anruf zu tätigen.
Nach nur wenigen Sätzen ist klar: Unsere Gegenüber finden uns sympathisch und werden uns mit über den Atlantik nehmen! Wir sollen uns Flugtickets in die Karibik kaufen, damit wir dort bei ihnen an Bord gehen können.
Bei der Crew handelt es sich um Shelley und Craig, ein britisches Paar in den Vierzigern. Ausser ihnen sind auch ihre zwei Kinder, Zack (4) und Luke (7), mit von der Partie. Ihr Schiff ist eine Lagoon 380, ein Katamaran mit Namen Zook. Im Sommer letzten Jahres hat die Familie den Atlantik bereits zu viert von Ost nach West überquert, was auch kein Problem gewesen ist. Fürs nächste Mal wünschen sie sich allerdings jemanden, der bei den Nachtwachen einspringen kann. Hier kommen wir ins Spiel. Craig und Shelley werden uns mitnehmen, dafür werden wir ihnen bei allem Möglichen helfen, vor allem nachts.
Wir sind komplett aus dem Häuschen und können unser Glück kaum fassen. Die definitive Zusage ändert alles für uns. Plötzlich hat unsere Reise mit Gorda ein Ablaufdatum. Um den Atlantik zu überqueren, wartet man auf ein günstiges Wetterfenster. Die beste Zeit dafür beginnt meistens Mitte April, was bedeutet, dass wir bereits zu diesem Zeitpunkt auf St. Martin, der Karibikinsel, sein müssen.
Wir diskutieren kurz, dann sind wir uns einig. So schnell wie möglich möchten wir nach Costa Rica, um dort unseren letzten Monat zu verbringen. Die restlichen Strände in Nicaragua werden wir auslassen. Zum Glück ist es von hier aus nicht mehr ganz so weit bis zur Grenze. Wenn wir durchfahren, können wir es morgen bis nach Costa Rica schaffen! Völlig euphorisiert legen wir uns ins Bett und können es noch gar nicht richtig fassen. Unsere gesamten Pläne haben sich gerade um 180 Grad gedreht. Wir sind aber froh darüber und bereit für alles, was noch kommt. Es überkommt uns ein tiefer, zufriedener Schlaf, bis uns um sechs Uhr morgens die Brüllaffen wecken.


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