Da noch ungefähr eine Stunde bis zum Sonnenuntergang bleibt, bricht Philip auf, um die Wellen hier auszuprobieren. Währenddessen macht Cora es sich in der Hängematte, die wir hinter Gorda gespannt haben, gemütlich und betrachtet die Umgebung. Als Philip zurück ist, lernen wir unsere Campnachbarn kennen. Direkt neben uns lebt ein einzahniger Grossvater in seinem aus mehreren Planen zusammengebastelten Zelt. Er ist superfreundlich, kocht aber mit immer noch nassem Holz, das er am Strand findet, sodass wir an unserem Platz ziemlich ausgeräuchert werden. Dafür bietet er uns etwas von seinem Essen an, das er auch an einige seiner Campingkollegen verteilt.
Nach dem Abendessen machen wir noch einen Spaziergang, um uns das gesamte Dorf anzuschauen. Wir laufen vorbei an Yoga-Boutiquen und Restaurants und landen schliesslich, am Ortseingang, vor einem Laden namens "Mama Toucans". Als wir eintreten, staunen wir nicht schlecht. Wir befinden uns im lokalen Bio-Supermarkt. Hier findet man frisches Gemüse und Obst, viele westliche Produkte und eine grosse Auswahl an veganen oder vegetarischen Optionen. Dementsprechend sind aber auch die Preise ziemlich hoch. Wir begnügen uns mit je einem hausgemachten veganen Cookie, der fantastisch schmeckt.
Für unseren ersten vollen Tag in Dominical haben wir uns viel vorgenommen. Wir möchten aufs Land gehen, um uns mit dem Terrain und der Umgebung vertraut zu machen. Dafür müssen wir etwas weiter fahren, denn das Grundstück liegt nicht direkt in Dominical. Wir nehmen die Strasse, die sich im Inland um die Hügel windet und halten nach 20 Minuten im nächsten Dorf namens Platanillo, das sich direkt an der Hauptstrasse befindet. Von hier aus muss man anscheinend nur einmal auf einen kleineren Weg abbiegen und diesen dann bis an sein Ende verfolgen. Das zumindest sagt uns Google Maps. Wie fast überall in Zentralamerika gibt es auch hier keine genauen Adressen, sondern nur ungefähre Beschreibungen. Wir folgen also dem Strässchen bis auf die Höhe des Standorts, was auf Grund der Strassenverhältnisse gar nicht so einfach ist. Der Weg weist zwischendurch eine ziemliche Steigung auf und ist sehr eng. Oben angekommen gibt es eine Art Wendeplatz, auf dem wir Gorda abstellen. Wir schauen uns um, können aber nichts entdecken, das irgendwelche Ähnlichkeiten mit den Bildern und Videos aufweist, die wir besitzen. Ratlos steigen wir wieder ins Auto und gehen davon aus, uns in der Strasse geirrt zu haben. Doch auch in der einzigen anderen Abzweigung werden wir nicht fündig. Nach wiederholter Analyse des vorhandenen Videomaterials stellen wir fest, dass wir zuvor doch nur wenige Meter vom Land entfernt gewesen sind. Ups! Also nochmal zurück zur Hauptstrasse. Bevor wir dieses Mal auf den kleinen Weg einbiegen, lassen wir Gorda auf dem Parkplatz der lokalen Bäckerei stehen. Wir wollen nicht riskieren, sie in ihrem fragilen Zustand überzustrapazieren. Ausgerüstet mit Verpflegung aus der Bäckerei und einer leeren Petflasche machen wir uns in Flip Flops auf den Weg. Erneut beim Wendeplatz angekommen, erkennen wir es plötzlich. Vor uns liegt das bewachsene Grundstück. Die wenigen Meter flacher Wiese neben der Strasse entwickeln sich schnell zu dichtem, fast undurchdringlichem Urwald, der steil abfällt. Zum Glück hat irgendjemand bereits einen kleinen Pfad durchs Dickicht gehackt, sodass wir uns durchkämpfen können. Wir folgen dem Pfad über das ganze Land, bis wir am Fusse des Hangs an einen kleinen Bach kommen, welcher die Grenze unseres Teils darstellt. Da uns so heiss ist, und wir seit Tagen nicht mehr geduscht haben, können wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Nun kommt unsere Petflasche zum Zug. Wir ziehen uns aus und legen uns in das kühle, nur knöcheltiefe Wasser, während wir uns zusätzlich mit der Flasche übergiessen. Die eher bräunliche Brühe sieht zwar nicht unbedingt appetitlich aus, das Dschungelambiente macht das Ganze jedoch zu einer unvergesslichen Erinnerung.


Nach dieser Abkühlung stapfen wir den Abhang wieder hoch und verschnaufen oben.
Vom Land, das ein bisschen erhöht liegt, kann man aufs Nachbargrundstück blicken, das eigentlich gänzlich von einer hohen Mauer umgeben ist. Wir entdecken einen riesigen Hund, der uns sofort anbellt. Mit ihm im Garten ist ein Mann, ungefähr 30 Jahre alt. Wir wollen uns gerne unseren neuen Nachbar*innen vorstellen und rufen deshalb herüber. Der Mann öffnet uns sein Tor, allerdings nur einen Spalt, damit der Hund nicht hinausschlüpfen kann, und begrüsst uns freundlich. Er stellt sich als Fabian vor und der Hund heisst Tico. Wir reden eine Weile, dann lädt er uns zu sich nach drinnen ein. Tico leint er vorerst an, da er immer etwas stürmisch auf Fremde reagiert. Im Haus empfängt uns Fabians Frau Brittanie, die uns mit frischem Wasser und Früchten versorgt. Zu viert setzen wir uns in den Garten und lernen uns kennen. Fabian kommt ursprünglich aus Platanillo, hat aber ab seiner Jugend in den USA gelebt. Dort hat er Brittanie kennengelernt. Vor einiger Zeit haben sie das Haus von Fabians Vater erworben und sind Anfang Februar 2023 eingezogen. Sie freuen sich sehr uns zu treffen, da sie sich schon lange fragen, wer das Stück Land direkt neben ihnen gekauft hat. Wir unterhalten uns angeregt und die zwei berichten uns eine Menge über die Gegend. Als allererstes raten sie uns davon ab, weiterhin mit Flip Flops herumzulaufen. Es gibt Spinnen, Skorpione und vor allem giftige Schlangen, die sich gerne unter Blättern verstecken. Zugegebenermassen haben wir uns beim Herunterkraxeln des Pfades etwas unsicher gefühlt, an die Tiere haben wir aber gar nicht gedacht. Ausserdem erfahren wir, dass wir viele der Bäume auf dem Land haben, dessen Früchte als Hauptnahrungsquelle der Toucans dienen. Oft können Brittanie und Fabian die Vögel auf ihrer morgendlichen Runde beobachten. Dies sind nicht die einzigen Tiere, die auf dem Grundstück gesichtet worden sind. Deryl, der Nachbar auf der anderen Seite, hat anscheinend Trail Cams im umliegenden Wald errichtet und das Resultat ist beeindruckend. Fabian erzählt uns von Nasen- und Ameisenbären, Ozelots und sogar Jaguaren. Erst jetzt wird uns so richtig bewusst, in was für einem Paradies wir hier gelandet sind. Kurz bevor wir gehen wollen, möchte Fabian uns etwas zeigen. Er nimmt uns mit auf Deryls Grundstück, zu dem er immer Zutritt hat und führt uns zu einem kleinen Wasserfall, der den Fluss, in dem wir vorhin gebadet haben, fortführt. Die Natur ist atemberaubend. Dann bedeutet uns Fabian, unter einen Baumstumpf zu schauen. Wir erkennen Pilze und weiter hinten mehrere Fledermäuse, die kopfüber am Holz hängen und schlafen. Als wir schliesslich wieder an unserem Schlafplatz am Strand ankommen, sind wir schwer beeindruckt und können unser Glück kaum fassen.

Den folgenden Tag verbringen wir gechillt im Schatten der Bäume. Als wir lautes Gekrächze hören, laufen wir zu dessen Ursprung. Auf einem Ast hoch oben sitzen zwei Aras und streiten sich. Sie bleiben eine ganze Weile dort sitzen, bevor sie sich irgendwann wieder in die Lüfte schwingen. Wir sind jetzt zwei Tage hier und haben schon fast mehr Tiere gesehen, als auf unserer gesamten vorherigen Reise.

Direkt neben dem Parkplatz entdecken wir ein Café, dessen Wifi bis zu unserem Auto reicht und dessen Toilette wir benutzen dürfen, wenn wir einen Keks oder eine Zimtschnecke kaufen. Dieses Problem wäre also auch gelöst. Wir setzen uns ein bisschen hin und geniessen die Zeit mit Internet, da wir jetzt schon länger ohne unterwegs sind. Abends schlendern wir durchs Örtchen und kehren dann in einem asiatischen Restaurant ein. Das Essen schmeckt ausgezeichnet und ist gar nicht mal so teuer.
Für Donnerstag haben wir wieder einen ganz bestimmten Plan. Fabian und Brittanie haben uns eingeladen, mit ihnen einen Wasserfall zu besichtigen. Frühmorgens stehen wir auf, damit wir die Wanderung nicht in der Mittagshitze zu unternehmen brauchen. Zuerst müssen wir allerdings nach Platanillo gelangen. Weil wir Gorda nicht aufräumen und nur belasten wollen, wenn es unbedingt nötig ist, nehmen wir den öffentlichen Bus um 07:00 Uhr. Um Punkt halb 8 stehen wir vor Fabian und Britannies Haus. Sie lassen uns ein und nehmen uns in ihrem Auto mit. Tico bleibt zu Hause. Wir fahren circa 15 Minuten über eine kleine Schotterstrasse, die immer tiefer ins Abseits der Zivilisation führt. Dann halten wir kurz an, um Gato, einen Freund von Fabian, einzuladen. Er wird heute unser Guide sein. Um zum Wasserfall zu gelangen, muss man nämlich zuerst 45 Minuten durch den Dschungel wandern. Da der Weg an manchen Stellen etwas anspruchsvoll ist, hat man besser jemanden dabei, der sich gut auskennt. Ausserdem haben Touris hier vor ein paar Tagen einen Puma gesichtet (Mit Fotobeweis!). Gato weist jeden von uns an, sich einen langen Stock zu nehmen und geht dann voraus. Normalerweise müsste man hier Eintritt zahlen, da wir aber mit Locals unterwegs sind, gilt diese Regelung nicht. Gato gibt ein angenehmes Tempo vor und das, obwohl er in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Er humpelt und geht am Stock. Als Begründung erzählt er etwas von einer Nervenkrankheit, kennt aber keinen genauen Namen. Auf Grund der Symptomatik und der Familiengeschichte vermuten wir MS. Der Pfad verläuft stetig bergab und wird von unzähligen verschiedenen Pflanzen umgeben. Gato bleibt immer wieder stehen, um uns besonders interessante Bäume oder Blätter zu zeigen. Irgendwann hören wir ein leises Rauschen aus der Ferne und wissen, dass wir bald am Ziel ist. Als sich plötzlich die Blätter lichten, haben wir eine unglaubliche Aussicht. Der Wasserfall befindet sich mitten im Regenwald und geht von einem Becken in einen breiten Fluss über. Die grossen Felsen am Rande des Pools eignen sich perfekt, um zu springen. Philip und Fabian hüpfen freudig, Brittanie und Cora bevorzugen es, einfach im Wasser zu plantschen. Als Philip gerade zum x-ten Mal aus dem Becken steigen möchte, schreit er plötzlich auf. Etwas hat ihn gezwickt. Wir suchen kurz und stellen dann fest: Es war ein Flusskrebs! Alle anderen begeben sich nun vorsichtig aus dem Wasser, damit sie ihm nicht auch noch zum Opfer fallen. Der Fluss auf der anderen Seite hat sogar noch mehr zu bieten. Es gibt Eidechsen, die von Stein zu Stein springen und sogar übers Wasser rennen können. Sie sehen aus wie kleine Dinosaurier. Ausserdem finden wir tausende klitzekleine Frösche.


Nach ein paar Stunden machen wir uns wieder auf den Rückweg. Es geht nur bergauf, was uns alle ziemlich ins Schwitzen bringt. Und das, obwohl wir doch gerade frisch gebadet sind! Auf der Heimfahrt begleitet uns Gato bis nach Platanillo. Er hat ein Baumhaus im Dorf gebaut, das er uns gerne zeigen möchte. Dabei handelt es sich nicht um eine Kinderburg, sondern um ein richtiges Häuschen, das bewohnbar ist. Er hat alles selber aus Holz konstruiert, er ist nämlich Schreiner. Nach der kurzen Besichtigung nimmt er uns noch mit in seine Werkstatt. Es ist sehr interessant, die verschiedenen Dinge zu sehen, die er fabriziert hat, seien es Möbel, Rollstühle oder ganze Häuser.
Zurück im Bett lassen wir den tollen Tag Revue passieren und sind sehr froh darüber, hier so schnell neue Freund*innen gefunden zu haben.

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