Die Fahrt von Samara nach Santa Teresa teilen wir uns in zwei Etappen auf. Nach ungefähr einem Drittel der Strecke machen wir in Nicoya Halt. Dort können wir in einem grossen Supermarkt unsere Vorräte aufstocken und auch Gorda eine kleine Rast gönnen. Das Schaltungsölproblem scheint gelöst zu sein. Cora ist gefahren und sagt, dass es sich wieder wie vor dem Zwischenfall anfühlt. Als wir den Ölstand checken, ist dieser zwar auf einem guten Level, die eigentlich transparente, rötliche Flüssigkeit weist aber ein paar schwarze Flecken auf. Dies ist Zeichen einer Verunreinigung. Unserer professionellen Einschätzung nach ist das jedoch nicht weiter schlimm und sollte in Zukunft hoffentlich nicht zu Komplikationen führen. Zum Glück haben wir mit dieser Annahme Recht und die Reise kann fortgesetzt werden. Nach der Hälfte der Distanz wechseln wir Sitze und Philip fährt uns bis ans Ziel. Die Strasse führt ein Mal um das Peninsula von Nicoya, auch bekannt als "Mal Pais". Der umliegende Dschungel verdichtet sich immer mehr und die Fahrt durch die grünen Wälder ist ein absoluter Genuss. Daran, dass sich auf gewissen, besonders kurvigen, steilen Stellen eine Autokollonne von bis zu fünfzehn Fahrzeugen hinter uns bildet, haben wir uns schon längst gewöhnt. Souverän lassen wir sie an geeigneten Stellen überholen, bevor wir in unserer entspannten Hippie-Bus-Maniere das gemütliche Tempo wieder aufnehmen. Freiwillig drücken wir Gorda schon längst nicht mehr an ihre Grenzen.
Santa Teresa ist eine der bekanntesten Touridestinationen Costa Ricas. Das kleine Dörfchen, das grundsätzlich aus einer ca. drei Kilometer langen Strasse, die zwischen Meer und steilen Hügeln eingeklemmt ist, besteht, hat gute Wellen und eine grosse Selektion an Restaurants, Bars und Läden zu bieten. Wir finden ein Camping direkt am Wasser, das von einer Gruppe Männern geführt wird, die selbst auch in Zelten leben. Die Einnahmen, die sie durch die paar wenigen Campinggäste erhalten, sind leider nicht genug, um ihr Leben zu finanzieren. Um das fehlende Geld aufzutreiben, verkaufen sie Marijuana und andere Drogen, die sie jedoch am liebsten gleich selbst konsumieren. Dementsprechend kann man sich auch die Hygiene-Bedingungen vorstellen. Da wir mittlerweile an das einfache Leben gewohnt sind, macht uns das nichts aus und wir schlagen unser Lager neben einigen zwielichtigen Dauergästen auf.

Die Gründe für unsere Anreise nach Santa Teresa sind nicht nur der wunderschöne weisse Sandstrand und die Brüllaffen, die sich in den Bäumen über dem Camping aufhalten. Hier lebt nämlich auch Colin, ein guter Freund von Philips grossem Bruder Dominik. Colin ist ausserdem professioneller Skipper und wir wollen ihn unbedingt ein wenig zu unserer anstehenden Atlantik-Überquerung befragen. Zufälligerweise ist Colin bei uns in Zürich zu Besuch gewesen, kurz bevor wir abgereist sind. Wir freuen uns alle darauf, uns wiederzusehen und uns über die letzten Monate, die natürlich ausserordentlich ereignisreich gewesen sind, auszutauschen. Er trifft uns zum Sunset und bringt gleich noch ein paar Biere mit. Später gehen wir zu ihm nach Hause und vergessen im Gespräch komplett die Zeit. Erst spät Abends verabschieden wir uns und verabreden uns zu einer Surfsession am nächsten Morgen. Cora muss diese leider aussetzen, da ihr linkes Ohr sich durch das viele Meerwasser und unsere mangelnde Hygiene entzündet hat. Wir haben ihr in Nicoya ein Fläschchen antibiotische Ohrentropfen gekauft und hoffen, dass diese eine Verbesserung herbeiführen werden. Ausnahmsweise stellen wir diese Nacht einen Wecker, damit wir die Verabredung nicht verpassen.
Am nächsten Morgen laufen wir, noch etwas müde vom langen Abend, den Strand entlang, um an den Surfspot zu gelangen. Cora hat zwar kein Brett dabei, ist aber mit einer Strandtasche und einem Badetuch ausgerüstet. Sie legt sich in den Schatten einer Palme und ruht sich aus, während Philip sich im Meer austobt. Der Swell hat gerade ziemlich Kraft und die Wellen zeigen eine anständige Grösse. Das Niveau der Surfer*innen ist hier ziemlich hoch, was bedeutet, dass man als Anfänger*in ein wenig Geduld haben muss, bis man eine Welle ergattern kann. Steht man allerdings erstmal auf einer, hat diese ein rasantes Tempo und eine Form, die nahezu perfekt ist. Philip vergnügt sich sehr, da diese Wellen für sein Skilllevel genau das Richtige sind. Dass surfen hier um einiges anstrengender ist, als in den eher milden Verhältnissen, die wir in Guanacaste angetroffen haben, merkt er, als er sein Brett völlig erschöpft und mit letzter Kraft den ganzen Weg bis zum Camping tragen muss. Coras Zustand hat sich leider über die Nacht und den Vormittag nicht verbessert und die Schmerzen im Ohr nehmen stetig zu. So ist ihr nicht zu Mute, am Nachmittag etwas zu unternehmen und wir spannen unsere Hängematte, in der wir die nächsten Stunden verbringen.

Als wir am nächsten Tag wieder aufwachen, sind ihre Schmerzen sogar noch stärker und Cora liegt nur noch halb gelähmt im Bett. Philip geht wieder alleine surfen und als er zurückkommt, hält Cora es nicht mehr aus. Das Ohr schmerzt maximal und sie beschliesst, dass es Zeit ist, einen Arzt aufzusuchen. Hier im Dorf gibt es sogar eine Klinik, in der sie freundlich willkommen geheissen wird. Der Arzt, der mit seiner gebräunten Haut, Tattoos und einer entspannten Art perfekt ins Ambiente dieser Surftown passt, bestätigt unsere Verdachtsdiagnose einer Otitis Externa. Er legt Cora eine Infusion, über die er ihr ein starkes Schmerzmedikament einführt. Ausserdem gibt er ihr ein Rezept für weitere Schmerzmittel und Antibiotika mit. Das Ohr muss man ausserdem säubern lassen. Dies ist leider im aktuellen Zustand auf Grund der starken Schwellung nicht möglich, also muss Cora noch einige Tage abwarten. Das ist ihr in diesem Moment aber egal, sie kommt komplett befreit und glücklich von der Praxis zurück. Die Schmerzen sind dank der Medikamente temporär verschwunden und sie fühlt sich "geheilt". Das erste Mal seit einer Woche hat sie nicht mit den Schmerzen zu kämpfen, was sie unglaublich schätzt.
Eigentlich wäre für uns nur ein kurzer Aufenthalt in Santa Teresa geplant gewesen, um nachher weiterzufahren und Philips Gastfamilie in Alajuela zu besuchen. Mit diesen Qualen wären mehrere Tage bei einer Latino-Familie jedoch eine Zumutung und wir beschliessen, erst aufzubrechen, wenn Cora wieder im Stande ist, die Zeit zu geniessen. Um den Prozess zu beschleunigen, besorgen wir am folgenden Tag die empfohlenen Medikamente. Nach einer vollen Dosis verschriebenem Codein sind die Schmerzen unter Kontrolle und Cora schwebt irgendwo zwischen Wolken. Das Antibiotikum scheint ebenfalls zu wirken und die Stunden werden für sie wieder ein wenig erträglicher. Am Tag unserer Abreise haben sich die Nächte auf dem Camping schon auf fünf aufaddiert. Cora fühlt sich bereit, weiterzuziehen und wir kündigen uns bei der Gastfamilie an. Obwohl unsere Erinnerungen an Santa Teresa durch die Ohrenentzündung geprägt sind, haben wir eine gute Zeit mit ausgezeichneten Wellen und einem Haufen lieber Leute gehabt. Colins Gastfreundschaft wissen wir zu schätzen. Er hat uns sogar das Versteck für seinen Hausschlüssel gezeigt und uns jederzeit in seinem zu Hause willkommen geheissen.
Bevor wir nach Paquera zur Fähre fahren, die uns nach Puntarenas bringen wird, wollen wir noch einen letzten Halt auf dem Nicoya Peninsula einlegen. Es gibt ein kleines Dorf namens Montezuma, das unter Ticos (Costaricaner*innen) wegen des grossen Hippie-Anteils auch als "Montefuma" bekannt ist. Philip ist in seinem Austausch schon ein Mal dort gewesen und erinnert sich noch gut an einen wunderschönen Spaziergang, der an den schönsten Stränden des Landes vorbeiführt. Die Fahrt nach Montezuma dauert lediglich eine halbe Stunde und wir kommen genau rechtzeitig an, um in der Sonnenuntergangsstimmung den kleinen Ausflug zu unternehmen. Am Ende des Dorfes beginnt ein Nationalpark, der die nächsten paar dutzend Kilometer der Küste schützt. Die Wanderung führt einen über mehrere kleine Strände, die alle ganz unterschiedlich aussehen. Es beginnt mit einer Bucht mit weissem Sand. Danach folgt ein Strand, der nur aus kleinen Muschelstücken besteht. Der nächste ist von grossen Steinen bedeckt und besitzt einen natürlichen Süsswasserpool. Neben dem kleinen Flüsschen haben Leute unzählige Steinmännchen errichtet, was dem Strand einen ganz persönlichen Charakter verleiht. Auch wir balancieren ein paar Steine aufeinander und bauen so unser eigenes Männchen. Nachdem wir an einer grossen Gruppe Brüllaffen vorbeischlendern, erreichen wir am Ende des Spaziergangs Playa Grande, einen langen Strand, der wiederum den makellosen, weissen Sand aufweist. Cora ist von diesem Ausflug komplett entzückt und Philip freut sich unheimlich, ihr einen seiner Lieblingsorte zeigen zu können.




Nach einem leckeren Abendessen in einer Soda machen wir es uns wieder auf einem Parkplatz gemütlich. Von dort aus können wir genau beobachten, wie eine Frau im Dunkeln mit ihrem Auto von der Strasse abkommt und es gekonnt mit einem Rad in der Luft in einer Grube parkt. Zusammen mit einer grossen Gruppe betrunkener Amerikaner*innen helfen wir ihr, es wieder aus dem Loch herauszuschieben. Zum Glück ist niemandem etwas passiert und wir können nach der kurzen Aufregung beruhigt zu Bett gehen.

Frühmorgens machen wir uns auf, den kleinen Wasserfall Montezumas zu besuchen. Dieser befindet sich am anderen Ende des Dorfes und ist nur zehn Minuten Fussweg entfernt. Man muss einem Bachbett durch den Wald folgen und hört von dort schon bald das laute Rauschen. Der Wasserfall ist ungefähr dreissig Meter hoch und hat ein grosses Becken am Fusse, in dem man schwimmen gehen kann. Abgekühlt und begeistert von diesem kleinen Dörfchen fahren wir in Richtung Fähre. Diese wird uns von der magischen Halbinsel voller Dschungel und unberührter Natur zurück auf die andere Seite des Golfes in die Zivilisation befördern.


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