Im gelobten Land
- Cora
- 13. Mai 2023
- 9 Min. Lesezeit
Die Fahrt an die Grenze verläuft ruhig und ereignislos. Wir hoffen, dass dies auch auf den Übergang zutrifft. Zwischen Nicaragua und Costa Rica herrschen die striktesten Einreisebedingungen, mit denen wir auf unserer Reise konfrontiert werden. Das ist der ultimative Test für Gordas Papiere. Wir haben Glück. Irgendwie läuft bei uns immer alles reibungslos. Als wir auf der nicaraguensischen Seite ankommen, steht bereits ein amerikanisches Paar mit einem riesigen Camper bei den Beamten. Wir parken daneben und werden zeitgleich mit Papieren zum Ausfüllen etc. versorgt. Im Gegensatz zu uns spricht das Paar kein Wort Spanisch, nur English. Während wir gelassen mit den Mitarbeitern plaudern und sie nur alibimässig zwei Minuten von aussen in unseren Wagen hereinschauen, müssen die Amerikaner*innen ihr ganzes Auto samt aller Habseligkeiten ausräumen. Sie erzählen uns, dass dies nicht das erste Mal sei. Schon an der letzten Grenze seien sie angehalten und durch einen Scanner geschickt worden, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Nach ungefähr 25 Minuten sind wir mit allem durch und dürfen auf die andere Seite fahren, das Paar steht immer noch an Ort und Stelle. Auch weiterhin klappt bei uns alles nach Plan und geht zügig voran. Wir sind nur etwas wütend, dass wir eine Versicherung für 50 Dollar abschliessen müssen. Letztendlich finden wir uns aber damit ab. Unauffällig erkundigen wir uns bei verschiedenen Beamt*innen, was denn passieren würde, wenn man sein Auto länger als die vorgesehenen 90 Tage des Visums in Costa Rica liesse. Als Antwort bekommen wir nur, dass das nicht gehe, man eine Busse zahlen müsse, oder das Fahrzeug würde beschlagnahmt werden. Alle sagen irgendwie etwas anderes, so richtig schlau werden wir aus den Antworten nicht. Als Nächstes wollen wir wissen, ob im System vermerkt wird, dass wir mit einem Auto eingereist sind. Dies wird einstimmig bejaht. Bei unserer Ausreise könnte das zum Problem werden, wir werden das Land schliesslich auf dem Luftweg wieder verlassen. Diese bevorstehende Problematik schieben wir jedoch fürs Erste zur Seite. Wir haben es bis nach Costa Rica geschafft!

Schon von Beginn an war klar, dass dies für uns das Endziel sein wird. Cora war noch nie hier, Philip hingegen ist ein kleiner Costa Rica-Experte. Mit 15 hat er einen einjährigen Schüleraustausch in diesem Land gemacht und es zu lieben gelernt. Wir freuen uns sehr, dass er Cora nun alles zeigen kann und wir gemeinsam neue Erinnerungen sammeln werden.
Da es schon relativ spät ist, wollen wir möglichst bald einen Schlafplatz finden. Wir befinden uns noch zu weit nördlich, als dass wir es heute zu einem Surfspot oder einer anderen Attraktion schaffen würden. Deswegen recherchieren wir ein bisschen auf iOverlander, der Camping App, und entscheiden uns für eine etwas abgelegene Fischerbucht. Hier gibt es nicht viel, ausser ein paar wenigen Häusern am Ende einer Strasse. Wir folgen ihr nur bis zur Mitte der Bucht und stellen uns dort in eine Ausbuchtung an den Strassenrand direkt am Wasser. Mit Blick auf die Fischkutter sitzen wir in unseren Campingstühlen und geniessen den Abend. Nach einiger Zeit gesellen sich mehrere Katzen zu uns, halten aber einen gewissen Sicherheitsabstand ein. Bei unserem letzten Einkauf haben wir eine Tüte Hundefutter besorgt, um die vielen Strassenhunde (oder Katzen) zu verwöhnen. Das trifft sich jetzt sehr gut. Wir verteilen einzelne Futterstücke im Gras neben uns und schauen den Katzen beim Suchen zu. Wir sind etwas enttäuscht, weil die Tiere nur ungefähr 30 Prozent der verstreuten Nahrung finden. Es wird dunkel und wir machen es uns mit unseren Büchern gemütlich. Das Hundefutter haben wir wieder in der Schublade hinten unterm Bett verstaut. Auf einmal entdeckt Philip da, wo vorhin die Katzen waren, einen Waschbären und dann noch einen und noch einen. Es ist eine kleine Familie, die um unser Auto herumstreunert. Wir beobachten gespannt und siehe da: Die Waschbären erschnüffeln all das Futter, das die Katzen liegen gelassen haben. Schnell haben sie alles aufgespürt, sodass wir noch mehr verstreuen. Die Tiere kommen uns richtig nah. Vor allem Cora ist entzückt, sie hat zuvor noch nie einen Waschbären gesehen. Irgendwann zieht die Familie ihres Weges und wir widmen uns wieder unseren Büchern. Cora liegt im Bett, Philip sitzt draussen auf einem der Stühle. Alle Türen sind offen. Plötzlich hört Cora ein lautes Rascheln von hinten im Auto. Sie schreit auf und alarmiert Philip, der sofort um Gorda herumrennt. Er kann seinen Augen nicht trauen. Einer der Waschbären ist in die hintere Schublade geklettert, hat den Sack Hundefutter in der Hand und ist damit auf der Flucht. Auf frischer Tat ertappt, lässt er die Beute liegen, als Philip laut ruft und auf ihn zu geht. Den Sack verstauen wir nun in einer waschbärsicheren Box und gönnen der Familie das bei der Aktion herausgefallene Trockenfutter. Wir wurden von anderen Camper*innen zwar schon vor den costaricanischen Langfingern gewarnt, dass aber die Tiere ebenfalls skrupellos sind, hätten wir nicht erwartet.

Nach dem Frühstück brechen wir nach Playa Grande auf. Diesen Strand hat Philip vor sieben Jahren schon mal besucht. Er hat ihn als einen der isolierteren in Erinnerung. Wo früher nur ein Schotterweg hingeführt hat, rollt man heute über eine asphaltierte Strasse ins Dorf. Es werden haufenweise Villen gebaut und es gibt sogar einen Skatepark. Das Lädchen, das damals die einzige Einkaufsmöglichkeit gewesen ist, existiert zwar noch, hat aber deutlich an Konkurrenz gewonnen. Unseren Schlafplatz finden wir auf dem Parkplatz direkt am Strand. Trotz des Wachstums ist die Natur relativ intakt. Die angrenzende Bucht markiert den Anfang eines Nationalparks. Playa Grande ist unter Surfer*innen bekannt, heute kommt dies aber nicht wirklich zur Geltung. Wir begeben uns trotzdem ins Wasser, einfach um uns auszutoben und abzukühlen. Die Wellen lassen zu wünschen übrig, der weisse Sand und das türkise Wasser machen das jedoch wett. Auf einem Spaziergang entdecken wir die Horde Brüllaffen, die wir vom Parkplatz aus schon den ganzen Tag gehört haben. Den Sunset verbringen wir obligatorischer Weise mit einer Menge anderer Leute am Beach. Alle nutzen den nun von der Ebbe vergrösserten Strand, um Sport zu machen, zu picknicken oder grosse Gemälde in den Sand zu malen. Nach dem Sonnenuntergang ist das Betreten des Strandes untersagt, da hier ein Brutort für Meeresschildkröten ist, leider erblicken wir keines der geschützten Tiere.


Unser nächster Halt heisst Tamarindo. Dies ist eine der grössten Städte an der costaricanischen Pazifikküste. Die ehemalige Surfertown ist heute ein beliebter Partyort für Tourist*innen. Auf dem Weg ins Zentrum legen wir noch einen besonderen Stopp ein. Philip möchte Cora den Auto Mercado zeigen. Dies ist eine Supermarktkette, die alle in Europa vorhandenen Produkte verkauft. Nach neun Monaten einheimischer Produkte und Läden fallen wir aus allen Wolken, als wir das Geschäft betreten. Es gibt alles! Vegane Fleischersatzprodukte, Schweizer Käse, sogar Rösti finden wir! Alles ist jedoch unglaublich teuer. Dies reflektiert sich auch an der Kundschaft, die ausschliesslich aus weissen Amerikaner*innen besteht. Trotz der Preise werden wir beim europäischartigen Brot schwach und gönnen es uns als Mittagessen. Tamarindo ist im Allgemeinen nur auf Tourist*innen ausgelegt. Sogar für die eigentlich laut Schild kostenfreien Parkplätze werden hier sechs Dollar verlangt. Wir haben keine Dollar und auch keinen Bock, weshalb die selbsternannte Parkplatzwächterin von uns leider nichts kriegt. Deshalb schickt sie uns wütend von "ihrem" Parkplatz. Beim nächsten haben wir mehr Glück. Wiederum werden wir von einem Parkplatzwächter zum Zahlen aufgefordert, wimmeln ihn aber durch Diskussionen und Ignorieren gekonnt ab. Während wir es uns auf unserem neuen Stellplatz gemütlich machen, trifft ein weiteres Auto ein. In der Person, die aussteigt, erkennen wir die Wächterin von eben wieder. Allem Anschein nach ist sie die Frau des hiesigen Parkplatzwächters. Wir müssen schmunzeln. Dieses Paar verdient seinen Unterhalt damit, den ganzen Tag mit selbst gekauften Warnwesten auf öffentlichen Parkplätzen zu sitzen und zahlwillige Touris abzuzocken. Bei den meisten Leuten funktioniert das sogar. Glücklicherweise sieht die Dame uns nicht und wir werden kein zweites Mal des Platzes verwiesen.

Nun ist es an der Zeit, den neuen Surfort auszuprobieren. Direkt vor unserer Nase sehen wir einige Leute im Wasser, es handelt sich allerdings nur um Anfänger*innen mit riesigen Brettern, die im White Wash ihr Bestes versuchen. Wir erkundigen uns bei der lokalen Surfvermietung und erfahren, dass der eigentliche Spot weiter hinten am Strand liegt. Um dorthin zu gelangen, muss man den breiten Fluss überqueren, der hier ins Meer mündet. Fast alle Tourist*innen bezahlen einen Fährmann, der sie hinüberbringt, wir entdecken aber zwei Surfer*innen, die auf ihren Brettern rüberpaddeln. Es gibt nur einen kleinen Haken. Die beiden warnen uns vor Krokodilen, die anscheinend im Fluss heimisch sind. Es sei aber schon lange keins mehr gesichtet worden und sie hätten sowieso noch nie eins gesehen, weswegen sie das Risiko eingehen. Cora ist etwas panisch und will sich auf keinen Fall ins kühle Flusswasser begeben. Es bedarf Philips grossartiger Überredungskunst, damit sie es schlussendlich doch wagt. Wir paddeln zügig und sind im Handumdrehen am anderen Ufer, ohne Krokodilzwischenfall. Tamarindo könnte ein ausgesprochen guter Surfspot sein, im Moment ist der Swell aber zu klein, weswegen die Session mittelmässig bleibt. Nachdem wir uns genug verausgabt und auch den Rückweg heil überstanden haben, möchten wir den Ort erkunden. Es wimmelt nur so von Surfshops und etwas edleren Boutiquen mit Strandmode. Surferläden sind von uns immer gerne gesehen, also schlendern wir von Tür zu Tür und schauen uns um. In einem der Shops findet Philip ein Leikra, das ihm sehr gut gefällt. Er ist zwar ein bisschen gehemmt, weil dies eine eher teurere Anschaffung ist, in Anbetracht dessen, dass er aber momentan in einem viel zu engen Leikra der Grösse M surft, entscheidet er sich schlussendlich doch für den Kauf. Ansonsten hat Tamarindo für uns nicht viel zu bieten, die Restaurants mit überteuerten Preisen meiden wir lieber und kochen uns selbst ein Abendessen.
Der Tag geht zu Ende, aber Cora ist nicht ganz zufrieden. Sie hat gestern in Playa Grande einen Leikrabadeanzug entdeckt, den sie sehr gerne gekauft hätte. Philip hat ihr den Kauf aber vehement ausgeredet, mit dem Versprechen, in Tamarindo einen noch schöneren zu finden. Leider hat er sich verschätzt und Cora ist hier nicht fündig geworden. Deswegen entscheiden wir uns spontan, am nächsten Morgen zurück nach Playa Grande zu fahren. Es dauert nur eine halbe Stunde, ist also kein riesiger Umweg. Im Laden reden wir mit dem Chef und handeln einen Deal aus. Cora bekommt den Badeanzug und noch etwas Geld, dafür geben wir dem Mann unser grosses Softtop Board, das wir schon lange loswerden wollen, weil es so viel Platz im Auto einnimmt. Cora braucht es schon längst nicht mehr, sie hat auf ihr kleineres Brett gewechselt. Nach diesem Tausch sind alle glücklich und Gorda wieder begehbarer, eine Win-Win-Situation.
Im Internet suchen wir nach weiteren Surfspots und stossen auf Playa Avellana. Der Ort erscheint uns perfekt und wir kommen nachmittags auf dem Parkplatz direkt am Strand an. Diesmal gibt es zwar ebenfalls einen Wächter, der uns allerdings schon bald in Ruhe lässt, nachdem er merkt, dass er von uns kein Geld bekommt. Es kommt uns vor, als seien wir in der Karibik. Das Wasser schimmert in verschiedenen Türkistönen und der feine weisse Sand rinnt einem durch die Finger. Es gibt zwei Orte, an denen Wellen brechen. Ein normaler Beachbreak mit sandigem Untergrund und eine Welle weiter vorne am Strand, die über Steinen bricht. Cora fühlt sich auf dem Sand wohler, da man drüben nur eine Knielänge von den Steinen entfernt steht und sie ihr Board nicht beschädigen möchte. Philip bevorzugt diesen Spot jedoch, weil hier die Wellen etwas grösser und schöner geformt sind. Also gibt es für uns zur Abwechslung mal getrennte Surfsessions. Cora geniesst ihre Zeit im Wasser, als sie plötzlich eine riesige Gruppe von Leuten am Strand sieht. Jede Person hat ihr eigenes Softtop dabei. Es handelt sich wohl um ein Surfcamp mit ungefähr 50 Teilnehmer*innen. Sie machen ein Gruppen-Warm-Up im Sand, bevor sie sich allesamt in die Fluten stürzen. Es ist der Horror. 50 Anfänger*innen ohne jegliche Kontrolle über ihre Bretter, alle an einem Ort. Nachdem Cora zweimal fast überfahren wird, entscheidet sie, dass es Zeit ist, ihre Session zu beenden. Philip beobachtet das Schauspiel aus sicherer Entfernung und ist froh, den anderen Spot ausgesucht zu haben. Trotz des Überfalls im Wasser gefällt uns Playa Avellana gut, weswegen wir zwei Nächte hierbleiben. Dann zieht es uns aber weiter, die Pazifikküste hat noch viel mehr zu bieten.


Der nächste Strand auf unserer Liste heisst Playa Junquillal und ist weniger bekannt. Es gibt hier keinen öffentlichen Parkplatz, aber genügend Parkmöglichkeiten unter den Palmen direkt am Wasser. Wir stellen uns neben einen anderen Van und treffen auf Niels, einen niederländischen Camper. Mit ihm tauschen wir uns über unsere bisherigen Erfahrungen in Costa Rica aus. Auch er warnt uns vor Taschendieb*innen und erklärt, dass er hierzulande sehr vorsichtig sei. Auf iOverlander gibt es einigen Berichten zufolge Strände, die man lieber meiden sollte, um das Risiko, ausgeraubt zu werden, zu minimieren. Wir nehmen uns die Ratschläge zu Herzen, sind aber nicht äusserst besorgt. Bisher haben wir uns in unserer Gorda immer ziemlich sicher gefühlt.
Die Wellen hier sind gross und wild. Es ist der Strand mit dem grössten Swell in der Umgebung, weshalb nur eine Handvoll Leute im Wasser sind, alle fortgeschritten. Für Cora keine optimalen Bedingungen, deshalb legt sie einen Pausetag ein. Philip hingegen hat seinen Spass und ist dankbar für eine Session, die ihn mal wieder an seine Grenzen bringt.
Neben unserem Schlafplatz befindet sich ein Restaurant, die Ticihut. Niels gibt uns das W-lan Passwort weiter und so können wir einige Dinge erledigen. Wir setzen uns in Reichweite und buchen endlich unseren Flug in die Karibik. Am 12. April werden wir von Panama-City aus nach St. Martin fliegen. Zusätzlich zum Flug kaufen wir uns die Bustickets nach Panama. Wir sind ganz aufgeregt, weil uns unser Plan jetzt erst so wirklich real erscheint. Gleichzeitig heisst das aber auch, dass das Ende unserer Zeit in Costa Rica nun deutlich vorhersehbar ist, was uns etwas traurig stimmt. Wir wollen die verbleibenden Wochen nutzen und noch möglichst viel sehen, deshalb machen wir uns am nächsten Morgen, nach Philips kurzer Surfsession, auf den Weg nach Nosara.

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